Eine Stadt ist in ständiger Umformung. Schrumpfung und Wachstum, die veränderten Bedürfnisse ihrer Einwohner, der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, die Verkehrsentwicklung –
verschiedenste Faktoren sorgen dafür, dass sich ihr Gesicht stetig verändert. Gefühlt mag sich mancherorts „Ewigkeiten“ nichts tun, aber was über Jahrzehnte Bestand haben soll, benötigt nicht selten auch langjährige Vorlaufzeit. Erst recht, wenn es wie bei der Neugestaltung des Dessauer Stadteingangs Ost um ein Vorhaben geht, in dessen Planung die Bürger von Anfang an eng einbezogen werden. Wenn eine Vielzahl verschiedener Interessen und Meinungen aufeinandertrifft, verläuft das natürlich nur selten reibungslos. Doch am Ende soll ein Ergebnis stehen, mit dem die Einwohner nicht nur leben können, sondern mit dem sie sich identifizieren und an dessen Entstehung sie direkt beteiligt waren. Und dafür, dass das funktioniert, gibt es in der Stadt auch schon einige Beispiele.
Kletterebene und Doppelrutsche, gekrönt von einem Spielhaus – so soll das neue Spielelement im Dessauer Stadtpark aussehen. (Abb.: Spielplatzgeräte Maier)
Spielplätze sind ein nicht zu unterschätzender Bestandteil städtischen Lebens. Hier finden Kinder Freiräume zum Spielen und Entdecken, hier werden Freundschaften geschlossen, soziale Fähigkeiten und Kreativität entwickelt, hier können Bewegungsdrang und Spieltrieb ausgelebt werden.
Wie der ideale Spielplatz aussehen muss, wissen seine zukünftigen Nutzer natürlich am allerbesten. Diese naheliegende Erkenntnis wird in Dessau bzw. Dessau-Roßlau schon seit 1997 in die Tat umgesetzt. Seitdem nämlich kommen hier bei der Planung neuer oder der Umgestaltung und Erweiterung vorhandener Spielplätze, die kleinsten Einwohner zum Zuge. In enger Zusammenarbeit des Jugendamtes mit dem Amt für Stadtentwicklung, Denkmalpflege und Geodienste sowie dem Eigenbetrieb Stadtpflege ist die Kinderbeteiligung längst im Alltag der Stadtplanung angekommen. Im Austausch stehen die städtischen Partner dabei außerdem mit dem Verein „Spielplatzinitiative Dessau“, der sich als Fachberater und Fürsprecher der Kinder versteht.
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Bei diesen Planungswerkstätten geht es nicht nur darum, Spielplätze zu schaffen, die Kinder glücklich machen. Dem Nachwuchs soll auch gezeigt werden, dass er Einfluss auf die Politik nehmen kann, dass Mitspracherecht und das Übernehmen von Verantwortung Hand in Hand gehen und dass Entscheidungen immer auch ein Abwägen unterschiedlicher Wünsche und Interessen vorausgeht. Damit diese Beteiligung zur Anwendung kommen kann, müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt sein. Zuallererst müssen alle beteiligten Akteure auch bereit sein, Verantwortung an die Kinder abzugeben. Dann muss es selbstverständlich auch wirklich etwas zu entscheiden geben und es müssen interessierte Kinder vorhanden sein, die sich einbringen möchten. Steht dann noch die notwendige Finanzierung bereit und die Umsetzung ist in einem überschaubaren Zeitrahmen möglich, kann es eigentlich auch schon los gehen. Wie der Prozess im Einzelnen abläuft, lässt sich am einfachsten an einem konkreten Beispiel zeigen: Dem Spielplatz im Dessauer Stadtpark.
Den Stadtparkspielplatz zu einem höherwertigen Ausflugsziel für alle Kinder der Stadt auszubauen, war bereits Teil der Bewerbung Dessau-Roßlaus um die Ausrichtung der Landesgartenschau 2022. An der Idee wurde auch festgehalten, als die Entscheidung für Bad Dürrenberg fiel. Wichtig für einen Spielplatz in so zentraler Lage ist allerdings, dass er nicht nur von seinen zukünftigen Nutzern angenommen wird, sondern auch die Akzeptanz der Anwohner findet. Im Rahmen des jährlichen Wohngebietsfestes der Dessauer Wohnungsbaugesellschaft mbH und des Wohnungsvereins Dessau e.G. suchten die städtischen Akteure im August 2018 daher das Gespräch – und stießen auf große Zustimmung bei kleinen und großen Teilnehmern.
Nur wenige Tage später ging es mit 20 Kindern im Alter von 8 bis 10 Jahren auf einen Streifzug in den Stadtpark, an den sich eine Modellbauwerkstatt in kleineren Gruppen anschloss. „Die Kinder waren, wie in jeder bisherigen Planungswerkstatt, extrem kreativ“, blickt Dr. Kirsten Lott vom Amt für Stadtentwicklung, Denkmalpflege und Geodienste zurück. „Sie haben ihre Wünsche in sehr detaillierten Modellen verarbeitet, über die auch die Profis staunen mussten.“ Aus allen Modellen wählten die Kinder anschließend ihre Favoriten, wobei jeder Teilnehmer mehrere Stimmen verteilen konnte. Schnell wurde deutlich, dass Felder für Ballspiele eher als unwichtig angesehen wurden. Die meisten Punkte gab es für einen Kletterparcours mit Aussichtsturm, Seilbahn und einer gebogenen Rutsche.
Dieses Ergebnis wurde anschließend an das zuständige Planungsbüro übergeben, das daraus einen umsetzbaren Entwurf gestalten sollte. Denn während der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, gibt es bei der Realisierung natürlich eine Vielzahl an Vorschriften und Sicherheitsmaßnahmen zu bedenken.
Im Juni 2019 war es dann aber so weit: Der Lösungsvorschlag der Planerin lag vor und erneut war die Meinung der kleinen Bauherren gefragt. Die fiel einhellig positiv aus, denn jeder Wunsch findet sich auch im fertigen Entwurf wieder. Der schon bestehende Seilzirkus im Stadtpark wird auf der Sandfläche um ein zentrales, großes Spielelement ergänzt. Über einer Kletterebene findet sich eine gebogene Doppelrutsche, die wiederum von einem Spielhaus gekrönt wird, das auch als Aussichtsturm dient.
Einen Wermutstropfen gibt es dabei jedoch. Da das maßgeschneiderte Spielgerät eine Sonderanfertigung ist, stehen alle Beteiligten derzeit (Stand Februar 2020) vor einer Geduldsprobe. Nach einem halben Jahr Fertigungszeit soll der neue Stadtparkspielplatz Mitte Mai 2020 dann endlich in Betrieb gehen. Natürlich im Rahmen eines Einweihungsfestes mit allen kleinen und großen Planern und allen anderen, die die neue Attraktion im Herzen der Stadt kennenlernen wollen.
Noch etwas mehr Geduld ist bei einem anderen Projekt gefragt, das exemplarisch zeigt, dass Beteiligungsverfahren nicht nur die jüngsten Doppelstädter einbeziehen können. Schon im Stadtentwicklungskonzept aus dem Jahr 2013 wird die Neugestaltung des sogenannten „Stadteingang Ost“ als vordringliches Ziel in der Entwicklung Dessau-Roßlaus benannt. Der Kernbereich dieses Stadteingangs be-steht aus Schlossplatz, Marienkirche, Johannbau und Mühleninsel, in der Planung wird aber auch ein erweiterter Bereich betrachtet. Die Neugestaltung soll dabei vor allem vier Ziele erfüllen:
Erhöhung der Attraktivität
Aufwertung des öffentlichen Raums insbesondere an der Mulde
Stärkung der Funktionsvielfalt
Verbesserung des Wohnwertes
Statt die Zukunft des für das Stadtbild prägenden und auch die Verbindung zwischen Stadtgebiet und Mulde herstellenden Stadteingangs im berühmt-berüchtigten „stillen Kämmerlein“ zu planen, haben sich Stadtrat und Stadtverwaltung Anfang 2019 für ein transparentes, öffentliches und fachlich moderiertes Beteiligungsverfahren entschieden.
Mit einer öffentlichen Informationsveranstaltung wurde dieses Dialogverfahren am 12. September 2019 eingeleitet. Rund 100 Einwohner beteiligten sich an der Diskussion und gaben Hinweise und Anregungen zu Beginn des Verfahrens. Anfang Oktober folgte ein Expertendialog, in dessen Zentrum der Austausch zwischen lokalen Experten, Vertretern der Stadtgesell-schaft und politischer Gremien stand und bei dem die Aufgabenstellung für die Neugestaltung des „Stadteingang Ost“ präzisiert wurde.
Die Entwurfswerkstatt, für die sich alle Dessau-Roßlauer bewerben konnten und deren Teilnehmer repräsentativ ausgewählt wurden, fand schließlich am 8. und 9. November 2019 statt. In drei 9- bis 10-köpfigen Teams, jeweils unter Leitung eines Planungsbüros, wurden drei Entwurfsideen entwickelt. Die Ämter der Stadtverwaltung standen beratend zur Seite, die Ideen wurden anschließend öffentlich vorgestellt und diskutiert. In den folgenden Wochen arbeiteten die Planungsbüros die Konzepte unter Berücksichtigung der diskutieren Anregungen aus.
Bevor ein 11-köpfiges Auswahlgremium Ende Januar 2020 schließlich über die Vorschläge entschied, wurden diese tags zuvor nochmals in einer öffentlichen Veranstaltung präsentiert und zur Diskussion gestellt.
Das Auswahlgremium entschied sich allerdings nicht für einen Sieger, sondern ließ Vorschläge aller drei Teams – des „Planungsteam BLAU“, des Teams „Neue Ufer“ und des Teams „Wir sind uns GRÜN“ – in seine vorläufigen Handlungsempfehlungen für die Neugestaltung des Stadteingangs Ost einfließen. Vom Lustgartentor bis in den Tiergarten hinein soll ein einheitlicher Landschaftsraum entstehen, der Stadt und Fluss aneinanderrücken lässt. Beide Uferseiten sollen in Beziehung gesetzt werden, auch neue Nutzungsangebote sollen hier entstehen. Die trennende Ludwigshafener Straße könnte langfristig einen Tunnel erhalten, soll zuvor jedoch beispielsweise durch Überwege besser passierbar werden. Für das Gebiet rund um den Johannbau sollen ein Nutzungskonzept und ein Raumprogramm als Grundlage z.B. für einen Architekturwettbewerb entwickelt werden. Im Gebiet des Lustgartens sollen bestehende Gebäude saniert bzw. mit einer attraktiven Fassadengestaltung versehen werden, auch eine teilweise Ergänzung durch Gebäude ist angedacht. Ein ebenfalls langfristiges Ziel ist die Schaffung einer West-Ost-Verbindung zwischen Stadtpark und Mulde.
Anhand dieser Empfehlungen werden die drei Konzepte vertiefend betrachtet und die empfohlenen Ergebnisse zu einem Masterplan weiterentwickelt, der eine verbindliche Grundlage für das weitere Vorgehen von Politik und Verwaltung werden soll. Ein Plan für die Stadtentwicklung, der auf den Wünschen und Ideen ihrer Einwohner basiert. Und somit ein Beispiel, das Schule machen sollte – nicht nur in Dessau-Roßlau. Auch wenn bis zu seiner Umsetzung vor allen Beteiligten noch ein langer Weg liegt. Aber ein gemeinsamer.