Ersatzmama auf Zeit - Interview mit Tagesmutter Kerstin Huth

Bereits seit 2005 ist die Kindertagespflege bei privaten Tages-müttern und -vätern der Betreuung in Kinderkrippen und -tagesstätten rechtlich gleichgestellt. In Dessau-Roßlau werden sie, stets in enger fachlicher Zusammenarbeit mit dem städtischen Jugendamt, als alternatives Angebot für die traditionelle Kinder-krippe sowie zur Betreuung von Kindergarten- und Schulkindern außerhalb der Öffnungszeiten aktiv. Ein Angebot, das sich stetig wachsender Nachfrage erfreut. Denn die Tageseltern können neben dem familiären Umfeld auch eine Flexibilität bieten, die öffentlichen Einrichtungen nicht möglich ist.

Tagesmutter Kerstin Huth; Foto: © LEO-Familie

0 bis 3 Jahre alt sind die Kinder, die in Kerstin Huth eine Ersatzmama auf Zeit gefunden haben. 2006 war die Walderseerin eine der ersten Tagesmütter in Sachsen-Anhalt. Während sie den Nachwuchs damals meist noch in den Haushalten der Eltern betreute, hat sie inzwischen längst die eigenen vier Wände und den heimischen Garten in eine Spielwiese für bis zu fünf kleine Erdenbürger verwandelt. Gemeinsam mit Ingrid Tollenberg, Fachberaterin des Sachgebietes Tagesbetreuung im Jugendamt Dessau-Roßlau, gibt sie Einblicke in ihren Alltag, der für sie keinesfalls nur Beruf ist.

Wie sieht der Alltag einer Tagesmutter – oder eines Tagesvaters – aus?
Kerstin Huth: Prinzipiell läuft das wie in einer normalen Kindereinrichtung ab. Die Kinder kommen zu den Zeiten, wie sie diese benötigen. Da bin ich natürlich ein bisschen flexibler als eine Kita. Bei mir kommt ein Kind manchmal erst zu halb 11, bleibt dann aber am Nachmittag bzw. Abend auch länger. Wenn alle Kinder da sind, werden sie nach dem Frühstück in abwechslungsreiche, an den Entwicklungsstand der Kinder angepasste, pädagogische Angebote herangeführt. Das kann Basteln sein oder Vorlesen oder wir machen gemeinsam Musik und spielen. Also jeden Tag etwas anderes. Bei schönem Wetter sind wir natürlich auch sehr viel draußen. Wenn wir dann wieder zurück sind, wird Mittag gegessen. Von 12 bis 14 Uhr ist Mittagsschlaf, danach gibt es Vesper und anschließend wird zum allgemeinen Spielen angeregt. Und irgendwann werden die Kleinen dann wieder abgeholt.

Haben Sie so etwas wie Öffnungszeiten?
Kerstin Huth: Nein. Die Öffnungszeiten sind variabel, so wie die Eltern es benötigen. Das ist gerade für die Schichtarbeiter auch sehr wichtig. Oder für alle, die außerhalb arbeiten und nicht erst zur Öffnung der Einrichtungen ab 6 Uhr ihre Kinder abgeben können.

Ich habe auch eine ganze Zeit lang eine Randbetreuung gemacht. Also Kinder aus dem Hort bzw. der Kita abgeholt und betreut, bis die Eltern von der Arbeit gekommen sind.

Gehört so eine Randbetreuung allgemein zum Angebot der Tageseltern?
Kerstin Huth: Ich habe 2006 so angefangen und lange fortgesetzt. Ich weiß, dass es viele Tagesmuttis und Tagesvatis gibt, die sich ausschließlich auf die feste Zeit von maximal zehn Stunden täglich beschränken, die in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt möglich sind. Aber ich habe selbst erlebt, wie schwierig das sein kann. Ich war eine ganze Zeit lang alleinstehend mit zwei Kindern.
Ich weiß also, wie es ist, wenn man in Schichten arbeitet und nicht weiß, wie und wo man die Kinder unterbringen soll. Dadurch habe ich es mir eigentlich zur Aufgabe gemacht, so etwas mit aufzufangen. Für die Eltern war das eine große Erleichterung.

Welche Voraussetzungen sollte man erfüllen, um in der Kindertagespflege tätig zu sein?
Kerstin Huth: Ich habe damals eine 200-stündige Schulung zur Tagespflegeperson absolviert. Außerdem muss man noch ein paar Nachweise erbringen. Ein Gesundheitszeugnis, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis – also eigentlich alle Dinge, die auch für die Arbeit in einer Kita wichtig sind. Hinzu kommt bei einer häuslichen Betreuung, dass auch alle anderen Personen über 18 Jahren, die im Haushalt leben, ein Führungszeugnis vorlegen müssen.

Wie kommt eine Betreuung zustande?
Kerstin Huth: Im Grunde genommen können Eltern jederzeit zu mir kommen und nachfragen, ob ein Platz frei ist. Dann gibt es eine kleine Kennenlernphase und wenn die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt, kann jedes Kind hier aufgenommen werden.

Ich sage den Eltern als allererstes, dass wir Katzen und einen Hund haben. Das müssen sie von Anfang an wissen, denn manche mögen das nicht und auch Allergien sind ein zunehmend wichtiges Thema. Ich habe bis jetzt aber zum Glück immer die Erfahrung gemacht, dass die Eltern es sogar sehr gut fanden, dass auch Tiere im Haushalt sind. Ich trenne sie auch nicht künstlich voneinander. Wenn es den Tieren zu viel wird, gehen sie nach oben, da sind die Kinder nicht.

Aber es ist eben sehr wichtig, dass wir uns erst einmal persönlich kennenlernen. Dass die Eltern mit ihrem Kind hierherkommen. Sie sollen mich und mein Angebot selbst erleben und ich will natürlich auch sehen, wie das Kind sich gibt und wie die Eltern so sind. Natürlich ist der erste Eindruck nicht immer endgültig. Es gab auch Momente, wo es nicht funktioniert hat. Von beiden Seiten. Das muss man ausprobieren. Und größtenteils hat es bisher gepasst.

Ingrid Tollenberg: Eltern und werdende Eltern können sich sowohl an die Wunsch-Tagesmutter als auch an das Jugendamt wenden. Wir achten sehr darauf, dass die Tagespflegeperson in diesen Prozess mit eingebunden ist, möglichst sogar noch vor unserem Kontakt. Es ist ja immer nur eine Person – und da müssen der pädagogische Ansatz und der Erziehungsgedanke, den die Eltern haben, natürlich mit dem der Tagespflegeperson übereinstimmen. Sonst führt das nur zu Konflikten. Bei der Kita kann man da schon mal jemanden austauschen oder die Gruppe wechseln. Das kann sie nicht.

Die formellen Dinge und die Beratung liegen bei uns. Wir beraten die Eltern zu den freien Tagespflegeplätzen und ermitteln deren Wünsche. Dabei können wir dann schon erste Empfehlungen aussprechen, sofern Plätze frei sind. Manche Ansprüche müssen wir dabei auch zerstreuen, weil sie so unrealistisch sind und es auch in unserer Verantwortung liegt, die Tagespflegepersonen zu schützen, damit sie nicht ausgenutzt werden. Was sie über die Vereinbarung mit uns hinaus leisten will, ist dabei natürlich die Entscheidung der Tagespflegeperson selbst. Zwischen dem Jugendamt, den Eltern und der Tagespflegestelle wird ein sogenannter Dreier-Vertrag geschlossen.

Was sind aus Ihrer Sicht die größten Unterschiede zwischen der Kinderbetreuung in einer Kinderkrippe und bei Tageseltern?
Kerstin Huth: Ich habe ja maximal fünf Kinder, in einer Einrichtung sind es deutlich mehr. Demzufolge kann ich, meiner Meinung nach, mehr auf die Kinder sowie auf die Eltern eingehen. Mir ist es zum Beispiel wichtig, dass die Kinder Tischregeln kennenlernen und verinnerlichen. Das klappt auch immer. Eltern, die zur Mittags- oder Kaffeezeit vorbeikommen, staunen oft. Sie wundern sich, wie ich das mache. **
Kerstin Huth: (lacht) Ich würde sagen, dass in dieser Hinsicht die Gruppendynamik eine ganz große Rolle spielt. Die größeren Kinder zeigen es den Kleinen und die Kleinen lernen es von den Großen. Ich kann mit fünf Kindern ohne weiteres alleine in den Tierpark gehen oder durch die Stadt bummeln. Sie rennen mir nicht weg, sie passen aufeinander auf, ohne, dass man einen Ton sagen muss. Sie laufen zu zweit, die Großen nehmen die Kleinen an die Hand. Ich rede auch sehr viel mit den Kindern und ich glaube, die Kommunikation macht da sehr viel aus.

Sie machen die Kinder also sozusagen fit für die Kita?
Kerstin Huth: Ja. Wir Tagespflegepersonen treffen uns jeden Mittwoch von 9 bis ca. 10.30 Uhr in der Volkshochschule. Da haben wir einen offenen Spielkreis, zu dem auch Eltern kommen können. Außerdem haben wir dort auch als Tagespflegepersonen die Möglichkeit, uns gegenseitig über eventuelle Probleme auszutauschen. Die jeweiligen Kinder der Tagespflegepersonen haben hier die Möglichkeit, in einer größeren Gruppe Kontakte zu knüpfen. Denn sie sollen ja nicht nur mich als Bezugsperson jenseits der Eltern anerkennen. In einer Einrichtung ist es später in der Regel auch so, dass über den Tag verteilt zwei oder drei Erzieher für die Kinder zuständig sind. Das soll für sie dann nicht mehr so eine große Umstellung sein.

Was ist für Sie das Schönste an Ihrem Beruf?
Kerstin Huth: Die Kinder. Die Arbeit mit ihnen. Zu sehen, wie sie sich entwickeln. Wie sie selbständig werden. Es ist dann zwar immer schade, wenn man sie dann abgeben muss und wieder von vorne anfängt. (lacht) Aber viele von ihnen kommen auch nach ihrer Zeit bei mir noch vorbei, um mich zu besuchen. Beim Sommerfest oder zur Weihnachtsfeier mit den Kindern, die ich jetzt habe, stehen plötzlich auch die „alten“ mit in der Tür. Das sind dann immer Dinge, die mir zeigen, dass ich alles richtig gemacht habe.

Haben Sie bei maximal fünf Kindern so etwas wie eine Warteliste?
Kerstin Huth: Ich habe Ende 2018 schon eine Anfrage für den April 2020 bekommen. Das heißt, die junge Frau hatte gerade erst erfahren, dass sie schwanger ist. Und das ist nicht zum ersten Mal passiert. Es kann mal vorkommen, dass man zwei oder drei Monate, bevor ein Platz frei ist, noch nicht weiß, ob er belegt wird. Aber in der Regel warten die Eltern oft ein Vierteljahr länger auf einen Platz, als sie ihn eigentlich benötigen würden.

Allein mit fünf Kindern ist es natürlich nicht immer ganz stressfrei. Wie lange wollen Sie Ihrer Berufung als Tagesmutter noch folgen?
Kerstin Huth: Ich gucke, wie lange es noch geht. So lange ich mich dazu in der Lage fühle, möchte ich das noch weiter machen. Die Kinder sind meine Lebensaufgabe – und die möchte ich so lange wie möglich machen.

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